Im Zentrum der von Angelika Wagner entwickelten Psychologie der Veränderung und Introvision steht die Frage nach inneren Konflikten, deren Auswirkungen und Auflösungsmöglichkeiten.
Diese Fragen wurden theoretisch, empirisch und praktisch untersucht.
Dabei bestand der erste Entwicklungsschritt in der Formulierung der Theorie subjektiver Imperative.
Grundlegende Annahme dieser Theorie ist es, dass Kognitionen entweder konstatiert werden können, oder dass sie sich imperiert werden können.
Sich etwas zu imperieren bezeichnet einen Prozess, bei dem das Bewusstsein sich selbst befiehlt, dass etwas, das bereits Bestandteil seiner selbst ist, nicht sein darf.
Die so entstehenden imperativischen Vorstellungen sind Ziele, Absichten oder Erwartungen, die subjektiv mit einem Gefühl von „so muss es sein“ bzw. „das darf nicht geschehen“ verbunden sind.
Dieses „Muss-Darf-nicht-Gefühl“ geht einher mit einem Gefühl der Dringlichkeit und des Selbstalarms sowie erhöhter Erregung, Anspannung und eingeengter Wahrnehmung (bis hin zum „Tunnelblick“).
Die Bandbreite imperativischer Vorstellungen reicht von rational begründeten bis hin zu rein gefühlsmäßigen „Muss“-Vorstellungen; im Einzelfall können diese auch der eigenen rationalen Einsicht widersprechen.
Entscheidend ist das jeweilige Gefühl - das Gefühl, dass es „nicht sein darf“, dass dieses Ziel nicht erreicht bzw. die Erwartung nicht erfüllt wird.
Ob es sich bei einer Erwartung oder Absicht subjektiv um eine imperativische Vorstellung handelt, hängt also lediglich davon ab, ob diese Vorstellung intern mit dem Muss-Darf-nicht-Syndrom gekoppelt ist oder nicht.
Die interne Handlung des Sich Imperierens ist auf sich selbst rückbezüglich, also selbstreferentiell.
Das Bewusstsein versucht, „...einen Bestandteil seiner selbst, d.h. eine Kognition, einen Affekt, eine Erinnerung oder anderes loszuwerden, indem es sich befiehlt: „Das darf nicht sein!“.
Allerdings stellt dieser Metaregulationsversuch eine Paradoxie dar, denn das, von dem sich das Bewusstsein befiehlt, es ausblenden zu müssen, ist ja bereits Bestandteil seines Bewusstseins.
Als Konflikte werden imperativische Vorstellungen aber erst wahrgenommen, wenn ihre Einhaltung in Frage gestellt wird. Dabei kreisen die Gedanken um die wahrgenommene (oder antizipierte) Nichteinhaltung einer imperativischen Vorstellung.

Es lassen sich vier Grundformen von Konflikten unterscheiden: Realitätskonflikte sind Konflikte, bei denen die Gedanken darum kreisen, dass etwas geschehen ist oder geschehen könnte, das „nicht geschehen darf“. Bei Imperativkonflikten geht es um zwei imperativische Vorstellungen, die nicht gleichzeitig eingehalten werden können, wie z.B. bei Entscheidungsdilemmata.
Undurchführbarkeitskonflikte sind deshalb undurchführbar, weil es um ein imperativisches Ziel geht, das nicht erreichbar ist, weil dafür notwendige Informationen, Kenntnisse oder Ressourcen fehlen oder weil der Imperativ selber „paradox“ ist (z.B. „Sei jetzt ganz spontan!“).
Bei Konflikt-Konflikten ist das Individuum in Konflikt mit sich selbst, weil es bereits einen Konflikt hat; Beispiele sind die Angst vor der Angst oder auch der Ärger über den eigenen Ärger.
Das Bewusstsein versucht nun, wie zahlreiche Auswertungen von Intensivinterviews gezeigt haben, den entstandenen inneren Konflikten auszuweichen, sie selbstregulierend zu umgehen.
Unsere Studien dieser Umgehungen haben ein Spektrum von 20 verschiedenen Konfliktumgehungsstrategien sichtbar werden lassen. Sie dienen dazu, den Konfliktzustand irgendwie zu bewältigen, ohne ihn tatsächlich zu beenden.

Die Theorie mentaler Introferenz

Um nachzuvollziehen, was genau im Prozess des Sich Imperierens und im Einsatz von Konfliktumgehungsstrategien geschieht, hat Angelika Wagner im Anschluss an eine differenzierte theoretische, empirische und praktische Analyse die Theorie der mentalen Introferenz entwickelt.
Aus Sicht dieser Theorie ist ein Konfliktzustand das Ergebnis vielfältigen wiederholten Eingreifens in vorhandene Kognitionen.
Introferent einzugreifen bedeutet zum Beispiel, bestimmte Kognitionen selektiv zu überschreiben, auszublenden oder zu verzerren.
Im Alltag lässt sich das leicht beobachten, z.B. wenn wir uns etwas bestimmtes vornehmen und uns dabei bewusst anspannen und buchstäblich „unter Druck“ setzen. Aus introferenztheoretischer Sicht werden dabei die jeweiligen Kognitionen wie Bilder, Ziele, Ideen – selektiv mit physiologischer Erregung, Anspannung und/oder Hemmung gekoppelt.
Dieses Eingreifen kann auch automatisch ablaufen und habitualisiert werden.
Da Imperierungen und anderen Formen der Introferenz selektiv mit bestimmten inhaltlichen Kognitionen gekoppelt sind, führt die Aktivierung dieser Kognitionen zur automatischen Aktivierung von Introferenz, d. h. zur Aktivierung dieser Strategie des Eingreifens in mentale Prozesse durch Koppelungen.
Physiologisch wird dies als Veränderung des Aktivationsniveaus wahrgenommen, weil ja die Markierung jeweiliger Kognitionen mit eben dieser Veränderung erfolgte und damit an die Kognition, das Bild, den Gedanken gebunden ist.
Wann immer jemand z. B. den Imperativ aktiviert, erfolgreich sein zu müssen, nimmt er oder sie auch die an diese Kognition gebundene Erregung wahr.

Die Introvision

Alle theoretischen und empirischen Untersuchungen mentaler Blockaden führten schon von Beginn an immer wieder zur Frage deren Auflösung.
Wie lassen sich subjektive Imperative, wie lässt sich der Prozess des introferenten Eingreifens in kognitive Prozesse beenden?
Dazu ist es notwendig, zunächst zu lernen, nicht zusätzlich einzugreifen: also eine bestimmte Kognition einfach nur aufmerksam konstatierend zu betrachten.
Ziel ist es, das automatisierte Eingreifen zu beenden; zu diesem Zweck geht es darum, die Koppelung der jeweiligen Kognitionen mit erhöhter Erregung und Anspannung langfristig zu löschen.
Diese Interventionsform, die am Ende eines gezielten Unterweisungsprozesses selbstregulativ nutzbar ist, wird von uns als Introvision bezeichnet.
Eine Introvision beginnt mit einer Einführung in die Methode des Konstatierenden Aufmerksamen Wahrnehmens.
Kurz: KAW bedeutet, eine bestimmte Kognition im Bewusstsein ein Weilchen lang aufmerksam konstatierend wahrzunehmen.
Eine solche Kognition kann ein erinnertes Bild sein, ein Satz, ein Gefühl, eine Eingebung, ein körperliche Empfindung.
Diese konstatierend aufmerksam wahrzunehmen bedeutet, das Zentrum der Aufmerksamkeit konstant und konstatierend auf diese Kognition zu richten, ohne zu versuchen, andere Kognitionen am Rande der Aufmerksamkeit aktiv auszublenden.
Daher spricht Angelika Wagner auch von weitgestellter Aufmerksamkeit, in der die Aufmerksamkeit quasi wie ein Scheinwerfer auf einer Bühne einen Fokus hat, die im Halb- und Teilschatten befindlichen Aspekte des Bühnenbildes aber nicht willentlich von der Bühne geworfen werden.
Introferenztheoretisch gesehen bedeutet KAW eine Form von Aufmerksamkeit, die momentan nicht in introferente Prozesse des Eingreifens eingebunden ist.
Eine Kognition zu konstatieren bedeutet gewissermaßen, einfach festzustellen, „Aha, so-ist-es“ (nämlich: diese Kognition). Mit weitgestellter Aufmerksamkeit ist gemeint, – analog zu einem Weitwinkelobjektiv – möglichst „alles“ in einer Sinnesmodalität Wahrgenommene gleichzeitig in der Aufmerksamkeit zu halten. Mit Wahrnehmen ist hier gemeint, dass es darum geht, in die vorhandenen Kognitionen aufmerksam-neugierig hineinzusehen, hineinzulauschen, hineinzuspüren.

Die Einführung in das KAW geschieht auf der Basis von vier Übungen, die von Angelika Wagner entwickelt wurden.
Diese Übungen werden in mehreren Sitzungen eingeführt und sollen danach täglich als Hausaufgabe fünf bis zehn Minuten lang durchgeführt werden.
Die Methode des KAW führt in vielen Situationen zu mentaler Entspannung bis hin zu Versunkenheit und Flow-Erleben.
Das regelmäßige Üben des KAW verbessert außerdem die Wahrnehmungs- und Aufnahmefähigkeit.

Evaluation

Inzwischen gibt es zahlreiche laufende oder bereits abgeschlossene empirische Untersuchungen zur Anwendung von Introvision, z. B. bei Rede- und Prüfungsangst, Schreibangst, Dauerverspannungen und Migräne, im Leistungssport, bei Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen und zur Verbesserung der Hörfähigkeit und beim Lernen, bei Depressionen sowie zur Förderung der Selbst- und Sozialkompetenz von Pädagogikstudierenden.




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